Von Dr. Silke Boeffel und Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einer HR-Nachhaltigkeitsstrategie ist die Stakeholderanalyse. Im Vordergrund stehen dabei folgende Fragen: Wer sind unsere Stakeholder, was sind ihre Erwartungen und welche Priorität sollten sie bei nachfolgenden Entscheidungen haben? Wie eine solche Analyse abläuft, zeigen wir am Beispiel eines fiktiven Biotech-Unternehmens.
Eine HR-Abteilung, die eine Nachhaltigkeitskultur im Unternehmen aufbauen will, muss sich zunächst mit der eigenen Rolle und der sich daraus ableitenden HR-Nachhaltigkeitsstrategie auseinandersetzen. Dazu gehört erstens, ein möglichst gutes Verständnis über die Stakeholder der eigenen (Nachhaltigkeits-) Arbeit zu erhalten und zweitens die Erwartungen zu kennen, die diese Stakeholder an die Personalabteilung haben.
Folgende Fragen müssen geklärt werden:
- Wer ist an einer nachhaltigen Unternehmensführung / einem nachhaltigen Personalmangement interessiert?
- Welche Art der Unterstützung wünschen sich diese Interessengruppen
von HR? - Wer kann die Arbeit von HR in dieser Hinsicht wie stark beeinflussen?
- Was benötigt die Personalabteilung von diesen Stakeholdergruppen,
um ihre Arbeit zielführend zu gestalten? - Wie kann eine Zusammenarbeit mit dem Ziel einer nachhaltigen
Unternehmenskultur gestaltet werden?
Um diese Fragen zu beantworten ist eine detaillierte Stakeholder-Analyse erforderlich. Diese wird im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gewöhnlich auf Unternehmensebene durchgeführt. Hier wollen wir uns gezielt auf die Personalabteilung und ihre Stakeholder fokussieren, um HR dabei zu unterstützen, seine eigene Rolle in der unternehmensweiten Nachhaltigkeitsstrategie neu zu definieren.
Am Beispiel der fiktiven ENDRIO Biotech GmbH, einem mittelständischen Unternehmen aus dem LifeScience-Bereich, erläutern wir, wie ein „Stakeholdermapping“ abläuft.
Die ENDRIO Biotech GmbH ist ein mittelständisches, deutsches Unternehmen mit Sitz in Bad Nauheim. Sie entwickelt, produziert und vermarktet Impfstoffe und Medikamente im Therapiefeld Atemwegserkrankungen. Die 758 Mitarbeiter im Werk erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von rund 130 Mio EUR. Als LifeScience-Unternehmen hat das Thema Nachhaltigkeit einen großen Stellenwert bei ENDRIO: Der Wasser- und Energieverbrauch in den Labors ist wie bei jedem Unternehmen dieser Branche extrem hoch. Der Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte ist gravierend und der Druck auf die Mitarbeiter aufgrund der Corona-Pandemie, steigenden Wettbewerbsdrucks und der Notwendigkeit immer schneller und immer innovativer zu sein, extrem belastend. Die Geschäftsführung hat daher ein grundsätzliches Umdenken beschlossen und will einen klaren Kurs zu einer nachhaltigen Unternehmensführung einschlagen. ENDRIO hat keine CSR-Abteilung. Daher wird der EHS-Beauftragte mit der Aufgabe betraut, eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie für das Unternehmen zu erarbeiten. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit von HR bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit erkannt, wenn es um die Einbindung der Mitarbeitenden und den umfassenden Kulturwandel im Unternehmen geht. Um diesen Gedanken, Nachhaltigkeit muss in der DNA des Unternehmens verankert sein, zu implementieren und zum Leben zu bringen, erhält die Personalabteilung ihrerseits die Aufgabe, eine Nachhaltigkeitsstrategie für HR zu erarbeiten.
In einem 2-tägigen Workshop setzt sich die achtköpfige Personalabteilung zunächst mit ihrer neuen Rolle und den an sie gestellten Erwartungen auseinander. Als nächstes wird eine Liste von Personen und Gruppen erarbeitet, die verschiedene Erwartungen an HR in Bezug auf Nachhaltigkeit haben bzw. davon betroffen wären.
Als interne Stakeholder werden folgende Gruppen definiert:
Die Geschäftsführung | Der Betriebsrat |
Die Mitarbeiter | Der Kantinenbetreiber |
Die HR-Mitarbeiter | Die Reinigungsfirma |
Die Anteilseigner | Der Aufsichtsrat |
Desweiteren werden noch zahlreiche externe Stakeholder identifiziert, darunter Kunden, Lieferanten, Partner, potentielle zukünftige Mitarbeitende, Rekruiting-Firmen, Investoren/ Banken, Politiker, NGOs und die Stadt Bad Nauheim.
Die Erwartungen der Stakeholder bestätigen die Wichtigkeit von HR bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit
Welche Erwartungen haben die Stakeholder an uns? Diese Frage wird heftig diskutiert, da insbesondere bei den externen Stakeholdergruppen die Erwartungen – und daher das Interesse am Thema – schwierig zu bestimmen sind.
Mit Hilfe von Erfahrungsberichten anderer Unternehmen aus der Branche, Informationen und Kommentaren aus den Sozialen Medien und online-Nachrichten wird ein erstes Erwartungsprofil erstellt. In einem zweiten Schritt werden direkte Gespräche mit ausgewählten externen Stakeholdern geführt, zu denen ein direkter Kontakt besteht.
Wünsche externer Stakeholder: Eine nachhaltige, sprich ethisch verantwortungsvolle Unternehmensführung, transparente Kommunikation über Nachhaltigkeitsmaßnahmen, langfristige, vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen und natürlich die Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben über die gesamte Wertschöpfungskette.
Für die internen Stakeholder wird zunächst ebenfalls auf Erfahrungen aus zurückliegenden Gesprächen und Meetings, auf vergangene Mitarbeiterbefragungen und auf Gespräche mit Führungskräften der verschiedenen Abteilungen zurückgegriffen. Um dieses Bild abzurunden, werden ebenfalls Gespräche mit ausgewählten Mitarbeitenden geführt sowie eine Mitarbeiterumfrage veranlasst.
Wünsche interner Stakeholder: Mitarbeiterbindung, der Wunsch nach nachhaltigen Arbeitsbedingungen, Entwicklungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten, eine klare(re) Kommunikation von HR-Leitlinien und Unternehmensmission sowie die Förderung nachhaltigen Handelns.
Die Tabelle „Stakeholdermap aus Sicht von HR“ zeigt einen ausführlichen Überblick über die Stakeholder und ihre Erwartungen.
Eine Priorisierung der Stakeholder ermöglicht die Fokussierung auf Schlüsselthemen
Im Verlauf des Workshops sind sich die Beteiligten relativ schnell einig, dass sie nicht nur ihre Stakeholder kennen, sondern auch deren Einfluss auf den Erfolg der HR-Nachhaltigkeits-bemühungen identifizieren sollten. Denn dieser bestimmt maßgeblich, welche Priorität die jeweilige Stakeholdergruppe bei der Definition der Themen, der Strategieziele, dem Erarbeiten konkreter Maßnahmen und bei der Kommunikation der geplanten Schritte, der Ergebnisse und der weiteren Entwicklungen erhalten sollte.
Eine Stakeholdermatrix, die die Stakeholder nach ihrem Interesse am Thema und Ihrem Impact auf die HR-Nachhaltigkeitsarbeit einordnet, ergibt eine Einteilung in vier Gruppen:
- Champions, die viele Erwartungen haben und einen großen Erfolgsfaktor darstellen
- Influencer mit einem relativ niedrigen, indirekten Interesse aber großem Impact
- Follower mit einem hohen direkten Interesse aber wenig Einfluss
- Neutrale, die das Potential haben sich in die Richtung einer der anderen Gruppen zu entwickeln
Zu Followern gehören beispielsweise interessierte Bewerber:innen, NGOs, oder auch Kunden, während Lieferanten, die Rechtsabteilung oder ehemalige Mitarbeitende zur „neutralen“ Gruppe bei ENDRIO eingestuft werden.
Als Influencer werden Kooperationspartner, die Regierung oder soziale Medien gesehen, während Mitarbeitende und Führungskräfte, Betriebsrat und natürlich die Geschäftsführung zu den Champions zählen.
Champions und Influencer werden mit Priorität 1 eingestuft, da beide für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen durch HR einen maßgeblichen Einfluss haben. Dies bedeutet allerdings nicht, die anderen beiden Gruppen zu vernachlässigen – vielmehr wird hier verabredet, auch diese regelmäßig zu befragen und zu beobachten, vor allem aber proaktiv (Follower) oder reaktiv (Neutrale) zu informieren.
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Erwartungen komplettiert die Landkarte
Nun könnte HR die Analyse der Stakeholder abschließen – sie wurden nach ihrem Einfluss priorisiert und man kennt im Großen und Ganzen ihre Erwartungen an HR. Aber an dieser Stelle sollte man nicht aufhören. Denn auch die Personalabteilung hat Erwartungen an ihre Stakeholder. Zum Stakeholder-mapping gehört auch, dass HR seine eigene Rolle definiert, seine Unter-stützungswünsche an die verschiedenen Stakeholdergruppen formuliert und an diese heranträgt.
Mitarbeit, Kooperation und konstruktives Feedback von nahezu allen Stakeholdern werden als wichtigste Voraussetzungen für eine erfolgreiche HR-Nachhaltigkeitsarbeit erkannt. Aber auch klare und realistische Vorgaben durch interne und externe Stakeholder sowie Gestaltungsfreiräume durch die Geschäftsführung sind wichtige Erfolgsfaktoren, damit HR eine nachhaltige Unternehmenskultur bei ENDRIO Biotech verankern kann.
Nach Abschluss der Stakeholder-Analyse sieht sich die Personalleitung nun in der Lage, den nächsten Schritt der Nachhaltigkeitsstrategie zu gehen: die Bestimmung der wesentlichen Themen, um daraus klare Ziele für die Abteilung und das Unternehmen zu definieren. Welche Themenfelder im nachhaltigen Personalmangement eine wichtige Rolle spielen und wie man die wesentlichen Themen gemeinsam mit seinen Stakeholdern erarbeitet, darum geht es im nächsten Beitrag Sechs Schlüsselthemen für ein nachhaltiges Personalmanagement.