Von Dr. Silke Boeffel und Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt.
Bei Diversität denkt man meistens an die „Frauenquote“ und wie der Frauenanteil in Führungspositionen erhöht werden kann. Das ist aber viel zu kurz gedacht! Diversität heißt Vielfalt und meint das Einbringen von verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen, kulturellen Hintergründen und Weltanschauungen. Trotz des guten Willens scheitern Diversitätsansätze in Unternehmen an unbewussten Vorurteilen, die wir alle haben. Nur wenn wir uns in einem ersten Schritt über unseren eigenen „unconscious bias“ klar werden und diesen reduzieren, gelingt es, echte Diversität ins Unternehmen zu bringen.
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert: die demografische Entwicklung führt zu sinkenden Erwerbstätigenzahlen, gleichzeitig steigt der Anteil an Frauen, die Beruf und Karriere möchten, und Menschen mit Migrationshintergrund machen heute bereits 26% der deutschen Bevölkerung aus. Wollen Unternehmen nicht ins Hintertreffen geraten und weiterhin als attraktiver und verantwortungsvoller Arbeitgeber wahrgenommen werden, müssen sie sich auf diese Veränderungen einstellen. Gleichzeitig wird auch das Marktumfeld immer unbeständiger, unberechenbarer und komplexer (VUCA-Prinzip). Unternehmen bedienen im Regelfall mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen globalen Markt – und um hier zu bestehen, können sie sich nicht mehr nur auf klassische Produkteigenschaften wie hohe Qualität und Verarbeitung „Made in Germany“ verlassen, sondern müssen auch die Bedürfnisse von Kundengruppen mit verschiedenen regionalen wie kulturellen Hintergründen kennen und berücksichtigen.
Aus all diesen Gründen setzen immer mehr Unternehmen auf Vielfalt. Viele, vor allem große Firmen führen inzwischen regelmäßig Diversity-weeks oder ähnliches durch. Ziel davon ist es, das Thema Diversität ins Bewusstsein der Mitarbeiter zu rücken, die positiven Effekte der Diversität im Unternehmen sichtbar zu machen und den Ansprüchen an ein sozial verantwortliches Unternehmen gerecht zu werden.
Dabei wird Diversität häufig reduziert auf die Förderung von Minderheiten (Frauen, Schwule/Lesben, Farbige/ Migranten etc.) oder Menschen mit Behinderung. Das ist natürlich nicht falsch, greift aber viel zu kurz. Tatsächlich meint Diversität zunächst einmal die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen – unabhängig von Personenmerkmalen, Lebensstilen oder Lebensentwürfen. Und mit dieser Grundeinstellung sollte ein Unternehmen das Thema angehen und offen sein für eine Vielfalt an Menschen, sie fördern und unterstützen – und damit auch von ihren Erfahrungen und ihrem Wissen profitieren. Denn schlussendlich ist es das Ziel einer gut aufgesetzten Diversitätsstrategie, verschiedene Denkweisen und Perspektiven ins Unternehmen zu bringen und es damit voranzubringen.
Gerade in unserer globalisierten Welt, die sich immer schneller ändert und neue Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen und damit Unternehmen stellt, ist es unerlässlich flexibel zu reagieren. Diversität im Unternehmen ermöglicht genau diese schnelle Reaktion auf Veränderungen.
Diversität beginnt nicht beim Recruiting sondern bei der Talentförderung
Die meisten Unternehmen setzen bei ihren Diversitätsprogrammen sehr stark auf Recruiting. Aber die entsprechenden Talente auf dem Arbeitsmarkt zu finden ist nicht leicht. Dabei wird ein einfacher Grundsatz meist übersehen: Gleiches sucht Gleiches.
Wenn Sie mehr Minderheiten ins Unternehmen holen wollen, dann müssen Sie mehr Minderheiten im Unternehmen auf Entscheidungspositionen heben. Denn weiße Männer werden bevorzugt weiße Männer einstellen, Frauen mit Familie werden andere Frauen mit Familie fördern, ausländische Arbeitskräfte werden tendenziell andere fremdsprachige Kollegen fördern oder einstellen. Grund für dieses Verhalten ist der sogenannte „unconscious bias“.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Wir alle kennen das – am wohlsten fühlen wir uns mit Menschen, die einem ähnlichen soziokulturellen Umfeld entstammen. Sie sind für uns berechenbarer und damit bequemer, da ihre Sprache, ihre Werte und Überzeugungen, ihre Bildung und Erfahrungen und ihre Lebensumstände unseren eigenen ähnlich sind. Dieses Phänomen wird als unconscious bias – unbewusste Voreingenommenheit – bezeichnet. Zugrunde liegt ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Sicherheit durch Gleichheit, das zu voreingenommenem Verhalten und unbewusster Auswahl von Stereotypen führt.
Unconscious bias ist vermutlich der Hauptgrund, warum selbst in Organisationen, die Diversität leben wollen, die Bemühungen scheitern können. Dabei bezieht sich dieses Handeln nach unbewussten Vorurteilen nicht nur auf selektive Rekruitierung oder Beförderung von Kollegen, sondern beispielsweise auch auf die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Hier einige Beispiele dazu:
- Handseifenspender funktionieren nicht für schwarze Haut, da die Standard-Infrarot-Technologie diese Hautfarbe schlecht wahrnimmt. Die Entwickler dieser Technologie waren fast ausschließlich weiße Männer vom kaukasischen Typ.
- Selbstfahrende Autos könnten zur Gefahr für farbige Menschen werden, da Gesichtserkennungssoftwares farbige Menschen deutlich schlechter erkennen als weiße.
- Bei Verkehrsunfällen ist das Verletzungsrisiko von Frauen deutlich erhöht, da die Sicherheitskonzepte von Automobilherstellern fast ausschließlich auf Daten von männlichen Crashtest-Dummys basieren.
- Die automatische Temperaturregelung in den meisten Büros ist auf Männer ausgerichtet. Für Frauen, die aufgrund ihrer anderen Physiologie ein größeres Wärmebedürfnis haben, sind Büros im Schnitt zu kalt.
Stellen Sie sich Ihren eigenen unbewussten Voreingenommenheiten
Der erste Schritt gegen den unconscious bias ist, sich dessen bewusst zu werden und sich selbst dafür zu sensibilisieren. Die Personalabteilung kann ihre Mitarbeitenden dabei durch folgende Maßnahmen unterstützen:
- Schaffen Sie Bewusstsein für die Problematik im Unternehmen – vor allem bei Führungskräften. Schulungen und Workshops geben einen ersten Impuls, sollten aber in einen echten Diversitätsprozess münden.
- Führungskräfte müssen ihre Handlungen und Entscheidungen bewusst reflektieren. Gerade wenn erste Diversitätsbemühungen scheitern, sollte man eingefahrene Verhaltensweisen und Routinen im eigenen Bereich hinterfragen und gemeinsam mit der Personalabteilung nach den Knackpunkten suchen.
- Das Unternehmen muss Strukturen schaffen, die größere Objektivität erlauben. Beim Rekruiting könnte das z.B. ein Sichten der eingereichten Profile ohne Name, Photo, Alter, Herkunft etc. des Kandidaten/der Kandidatin sein.
- Ein Implicit Association Test (entwickelt von Harvard-Universität Washington) hat sich als zielführend erwiesen, um unbewusste Vorurteile/Voreingenommenheiten an die Oberfläche zu bringen und bewusst zu machen.
Setzen Sie auf gemischte Teams
Bei der Zusammensetzung von Teams sollte man auf eine diverse Zusammenstellung achten: Frauen und Männer, jung und alt, in- und ausländisch, mit und ohne Uni-Abschluss, mit und ohne Familie, vom Fach und fachfremd. Alle gemeinsam erarbeiten mehr Lösungswege als eine homogene Gruppe. Dafür muss jede:r Einzelne aus seiner Komfortzone heraustreten, denn es ist natürlich leichter mit Kollegen auszukommen, die gleich „ticken“, als mit solchen, die völlig anders denken und handeln. Das Unternehmen muss bereit sein, diese Herausforderungen anzugehen, denn diverse Teams können unberechenbarer sein, wenn verschiedene Sichtweisen aufeinanderstoßen. Hier braucht es eine gute Moderation, mehr Zeit und Austausch als in einem eingespielten Team, vermittelt aber allen Beteiligten die zusätzliche Kompetenz, in vielfältiger Zusammensetzung mit unterschiedlichen Talenten erfolgreich zusammenzuarbeiten.
Die Vorteile sollten Belohnung genug sein:
Diversität braucht ein neues Mindset und eine geänderte Unternehmenskultur
Für die erfolgreiche Einführung und Implementierung von Diversität im Unternehmen braucht es einen strategischen Ansatz, der – von oben unterstützt – Ziele und Maßnahmen definiert und deren Erfolg durch spezifische Kennzahlen misst.
Vor allem kann wirkliche, gelebte Diversität nur durch eine Änderung des Mindsets im gesamten Unternehmen erreicht werden, angefangen von der Unternehmensspitze bis zum einzelnen Mitarbeiter und der einzelnen Mitarbeiterin.
Helfen kann auch hier das Hinterfragen der eigenen Denkweise:
- Multidirektional vs. Unidirektional
Fragen Sie bei jeder Entscheidung oder zu jedem Thema: „Wie kann man denn noch darüber nachdenken?“ - Bunt vs. Schwarz-weiß / richtig-falsch
Denken Sie in Graustufen – die Welt ist voll von Standpunkten und Anschauungen und in allen ist irgendwo ein Stückchen Wahrheit. - anders/progressiv vs. konventionell/konservativ
Hinterfragen Sie den Status Quo: „Warum machen wir Dinge so wie wir sie machen“ anstatt zu sagen:„Das haben wir schon immer so gemacht“.
Diversität ist eine Reise zwischen verschiedenen Welten. Sie hilft uns allen, uns auf Fremdes einzulassen, Neues zu erlernen und uns gegenseitig zu bereichern. Wer Vielfalt als etwas Positives und Wertvolles begreift, kann die Angst vor dem Unbekannten bezwingen und die eigenen bewussten wie unbewussten Vorurteile reduzieren. Ergreifen Sie diese Chance für Ihr Unternehmen und gehen Sie die Herausforderung an – es lohnt sich!